Auf der Social Media Plattform Instagram stieß ich vor kurzem auf das Profil der lieben Maya, die uns in diesem Beitrag einen Einblick in ihr Erleben der Essstörung ermöglicht…

[Trigger Warnung – Essstörung]

Mein Name ist Maya, ich bin 25 Jahre alt und habe diverse psychische Erkrankungen,unter anderem Borderline und eine Essstörung. Zurzeit schreibe ich an einem Buch:„Teilzeit-Borderliner“, in dem ich meinen Weg, wie ich mit den Erkrankungen im Laufe der Jahre besser und besser zurechtkomme, beschreibe. Als ich gefragt wurde, ob ich einen Betrag zum Thema Essstörung verfassen könnte, habe ich mich sehr gefreut. Ich habe euch ein Kapitel aus meinem Buch mitgebracht, dass meine ganz persönliche Geschichte erzählt…

„Du siehst gar nicht aus, als hättest du eine Essstörung!“ „Du hast doch eben was gegessen!“

Wenige Worte. Kurze Sätze, die einen als Essgestörte völlig aus der Fassung bringen können. Genau diese Worte wurden bei meinem ersten Aufenthalt in der ortsansässigen Psychiatrie von einem Mitpatienten zu mir gesagt. Ich war nicht primär wegen meiner Bulimie dort, dennoch war bekannt, dass ich darunter leide. Ich war im Normalgewicht, heute würde ich sagen, vier/ fünf Kilo mehr wären auch nicht schlimm gewesen, aber ich hatte eine halbwegs gesunde Figur und sah nicht aus wie eine „Essgestörte aus dem Bilderbuch“. Dennoch litt ich sehr unter der Bulimie und die Aussage traf mich ganz tief.

Mittwoch, 15.11.2017

„Nummer 5. Das gerade war Nummer 5 für heute. 2 Pakete Nudeln mit Tomatensauce, 3 Tafeln Nussschokolade, eine Prinzenrolle, eine Packung Cornflakes mit Milch. Keine halbe Stunde Essen und anderthalb Stunden über der Toilette. Meine Augen sind rot unterlaufen. Mir ist schwindelig. Es kam nicht alles raus. Ich fühle mich so ekelhaft. Ich bin so fett und nichts wert. Wie kann ich nur so dumm sein?! Es bringt nichts, es bringt nichts und ich kann nicht aufhören. Es ist gerade erst 18 Uhr, wer sagt, dass das der letzte für heute war. Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr zu Supermarkt fahren, einkaufen, fressen, kotzen, das Alles, es geht nicht mehr. Lieber wäre ich tot, als das noch einen Tag länger mitzumachen. Gestern habe ich mir geschworen, es passiert nie wieder. Und heute um acht stand ich wieder vor dem scheiß Supermarkt. Diesmal ein anderer als sonst, die Kassierer halten mich doch schon für völlig bekloppt. Ich kann einfach nicht mehr, wo soll das alles nur hinführen?“

Dieser Tagebucheintrag entstand, als ich noch mitten in der Essstörung steckte. In Hochzeiten habe ich bis zu acht Essanfälle mit anschließendem Übergeben am Tag hinter mich gebracht. Dafür ging jedes Mal ein Großteil, wenn nicht sogar der ganze Tag drauf –das Studium lies ich zu dieser Zeit völlig schleifen. Alles in meinem Leben drehte sich ums Essen, es gab keine Mahlzeit, die mich nicht postwendend wieder verlassen hat.

Es war zeitraubend und die Kraft schwand von Tag zu Tag mehraus meinem Körper. Entweder fraß und kotzte ich, oder ich aß (auch mal mehrere Tage lang) gar nichts. Darauf war ich schlussendlich dann auch noch stolz. Die Adern in meinem Auge waren geplatzt und ich sah mit den blutunterlaufenen Augäpfeln aus wie ein Vampir. Doch ich konnte es nicht stoppen. Ich konnte mir nicht eingestehen zu essen. Und wenn, fand ich kein Maß, verlor jedes Mal die Kontrolle über mich selbst.

Gut zwei Jahre lang ging meine schlimmste Phase der Essstörung. Rund 9000€ hat mich meine Zeit mit der Bulimie gekostet. Ich wusste alles über Ernährung. Ich hätte gewusst, wie es richtig funktioniert, sich ausgewogen und gesund zu ernähren. Noch heute kann ich von jedem handelsüblichen Lebensmittel die Kalorien auf 100g auswendig.

Es begann bei mir mit dem Versuch, abzunehmen. Ich hatte mein Leben lang mit meinem Gewicht zu kämpfen, doch als ich anfing, mein Essen penibel genau abzuwiegen und Kalorien zu zählen, dazu Sport zu treiben (in Spitzenzeiten zwei bis drei Stunden, jeden Tag), purzelten die Kilos. Doch aus einer vermeintlich gesunden Ernährung und Sport wurde nach und nach ein Zwang. Ich verlor die Kontrolle über mein Handeln, gestand meinem Körper immer weniger Nahrung zu, musste immer mehr Sport treiben, um noch schneller an Gewicht zu verlieren.

Bis mein Körper anfing, sich zurückzuholen, was er brauchte. Es begann mit kleineren „Essanfällen“. Mittagessen für zwei Tage, noch eine Schale Müsli nach meiner Gemüsepfanne. Bis irgendwann die Grenze erreicht war, wo ich nach dem Essen nichtmalmehr gerade stehen konnte, auf allen Vieren ins Bad krabbelte und mir zu ersten Mal den Finger in den Hals steckte. Es war befreiend. Das Gefühl, dass ganze schlechte Essen, die Kalorien größtenteils wieder loszuwerden. Wenn das spannende Gefühl im Magen nachlässt und man sich einfach nur leer fühlt. Was ich damals nicht wusste war, dass das der Anfang einer Odyssee wurde. Den schrecklichsten Jahren meines Lebens.

Aber warum schreibe ich hier über das Thema? Was hat das Ganze mit Borderline zu tun?

Leute, die an der Borderline-Persönlichkeitsstörung erkrankt sind, haben in den aller meisten Fällen nicht nur mit dieser Erkrankung, sondern auch mit komorbiden anderen psychischen Erkrankungen zu tun. Neben Depressionen oder einer posttraumatischen Belastungsstörung zählt hierzu auch sehr oft eine Essstörung. Bulimie ist hierbei eine der Häufigen, oft in Kombination mit einer vorangegangenen Anorexie (wie auch bei mir).

Das besondere Problem an der Sache ist, dass eine Essstörung, die mit Borderline zusammen hängt, eher schwieriger zu Behandeln ist. Meine Therapeutin sagte mal zu mir, dass ich es mir wie ein Fass vorstellen soll. Das volle Fass wäre ein gesundes Essverhalten. Bei jemandem, der an einer Essstörung erkrankt ist, sei das Fass leer. Kommt jetzt noch die Borderline-Persönlichkeitsstörung dazu, fehle dem Fass auch noch der Boden, sodass man es nicht „einfach“ befüllen könne.

Persönlich habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Essanfälle und das Übergeben danach nicht nur der Kalorien wegen geschehen. Für mich war es lange Zeit eine Strategie, mit Gefühlszuständen umzugehen. Einfach nichts zu fühlen. Ich erreichte mit diesen Handlungen zwar meist mein Ziel, jedoch auf äußerst destruktive weise. Mittlerweile kann ich mit sogenannten „Skills“ konstruktiv umgehen, doch bis dahin war es ein lager, steiniger Weg mit Höhen und Tiefen. Dennoch ist es möglich, es zu schaffen. Dass hierfür jedoch in den allermeisten Fällen Unterstützung von außen wichtig ist (und dies nicht nur in Form einer Therapie), musste ich auch erst begreifen und annehmen.

Heute habe ich ein größtenteils normales Essverhalten, ab und an, wenn mich Gefühle überrollen, hege ich noch den Drang nach einem Essanfall, jedoch kam dies schon seit Monaten nicht mehr vor. Manchmal mache ich kleine Rückschritte und übergebe mich nach dem Essen, aber auch das ist sehr selten geworden und zeigt mir, dass ich noch weiter an mir arbeiten kann, aber in den letzten zweieinhalb Jahren auch enorme Fortschritte gemacht habe. Diese anzuerkennen ist dann eine andere Baustelle 😉

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